Ausmaß und Facetten der Gewalt

Wie die von der Universität Bielefeld von 2009 bis 2011 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführte repräsentative Studie „Lebenssituation und Belastung von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“ belegt, sind Mädchen und Frauen mit Behinderung in besonderem Maße von Gewalt betroffen.
Die in der Studie befragten Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen waren im Lebensverlauf allen Formen von Gewalt deutlich häufiger ausgesetzt als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt.¹ Von Erfahrungen von sexueller Gewalt in Kindheit, Jugend oder im Erwachsenenleben berichteten die Frauen der Studie zwei bis dreimal häufiger als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt. Von elterlicher körperlicher Gewalt waren 74–90 % der Frauen in Kindheit und Jugend betroffen (im Vergleich zu 81 % der Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt). Körperliche Gewalt im Erwachsenenleben haben mit 58–75 % fast doppelt so viele Frauen mit Behinderungen wie Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt (35 %) erlebt. Über 80 % der in der Studie befragten Frauen berichteten von diskriminierenden Handlungen durch Personen und Institutionen im Zusammenhang mit der Behinderung.²

¹ In der oben aufgeführten Studie wurde zum Vergleich mit dem weiblichen Bevölkerungsdurchschnitt die Prävalenzstudie von Schröttle/Müller: „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“, BMFSJ 2004 herangezogen

² Vgl.: Schröttle, Monika et al., 2011‚: Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland www.unibielefeld.de/IFF/for/zentrale_ergebnisse_kurzfassung.Pdf (29.10.2012)

Facetten der Gewalt
Gewalt basiert auf einem Machtgefälle, das durch die Ausnutzung einer Überlegenheit oder von Abhängigkeiten entsteht. Ein größeres Machtgefälle als zwischen nicht behinderten erwachsenen Menschen und Mädchen bzw. Frauen mit Behinderung, die häufig zeitlebens auf die Menschen in ihrem Umfeld angewiesen sind, ist nirgendwo sonst zu finden. Manchmal handelt es sich hierbei auch um ein Abhängigkeitsverhältnis zur grenzüberschreitenden bzw. Gewalt ausübenden Person.
Aufgrund einer evtl. bestehenden Abhängigkeit zwischen dem Mädchen/der Frau mit Behinderung und der grenzüberschreitenden Person, sowie aufgrund ihrer Sozialisation sehen Mädchen und Frauen mit Behinderung für sich oft keine Möglichkeit, sich zu wehren oder ihrem Gegenüber klare Grenzen aufzuzeigen. Sie haben häufig gelernt, dass sie dankbar sein müssen, da sie nicht der Norm entsprechen und vermeintlich wehrlos sind.
Machen Mädchen und Frauen mit Behinderungen eigene Gewalterfahrungen öffentlich, besteht die oft auch heute noch berechtigte Angst, dass nicht der Täter sondern sie selbst die Einrichtung oder Familie, in der sie leben und von der sie evtl. auch abhängig sind, verlassen müssen, ohne eine akzeptable Alternative zu finden.
Gewalterfahrungen mitzuteilen, ist umso schwieriger, je weniger sich ein Mädchen oder eine Frau aufgrund einer Behinderung verbal oder schriftlich mitteilen kann. Je nach Behinderung ist bei vielen Betroffenen zudem das Selbstwertgefühl bzw. die Selbstsicherheit zu gering oder gar nicht vorhanden, und Informationen, welche Möglichkeiten zur Gewaltabwehr in Betracht kommen können, stehen nicht allen Mädchen und Frauen mit Behinderung gleichermaßen zur Verfügung.

Wenn Mädchen oder Frauen mit Behinderung dennoch die Möglichkeit und den Mut haben, Anzeige zu erstatten, erleben sie noch häufiger als nichtbehinderte Mädchen und Frauen, dass ihnen nicht oder nur teilweise geglaubt wird. Im besonderen Maße gilt dies für Frauen mit Lernschwierigkeiten, für Frauen mit sogenannter geistiger Behinderung, oder Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen. Täter kalkulieren dies mit ein. Sie haben dadurch weniger Angst vor Strafverfolgung.

Unabhängig, ob Mädchen und Frauen behinderungsbedingt viel oder wenig Hilfe und Unterstützung benötigen: Es gibt immer eine Möglichkeit, sich gegen Gewalt und Übergriffe zu wehren und die potentiell gewaltauslösende Situation zu beenden, auch wenn dies unter Umständen eine große Lebensumstellung bedeutet.
Hier finden Sie Adressen von Beratungsstellen und anderen Institutionen, die Mädchen und Frauen in diesem Prozess unterstützen und begleiten.

Eine Broschüre mit ausführlichen Informationen zum Thema finden Sie hier